Tatabánya? Die Totiserkolonie hat mich überzeugt

Und dann war da Tatabánya!
Wieder einmal bin ich auf der Flucht vor dem Regenwetter in Wien. Am Samstag war es noch ziemlich ungemütlich und auch für Sonntag wusste der Wetterbericht lange nicht, welches Wetter uns geschickt wird. Ungeduldig, wie ich nun mal bin, habe ich schon früh genug die Reissleine gezogen und habe das gemacht, was ich in letzter Zeit oft mit Erfolg gemacht habe. Ich bewege meinen Finger auf der Landkarte und suche nach einer Alternative, die mir sonniges Wetter verspricht.
Schon seit meinem Besuch in Sopron im Herbst 2023 habe ich angekündigt, doch mehr unser Nachbarland Ungarn zu erforschen. Da hatte ich in den Jahren zuvor kaum etwas unternommen. Und so schicke ich meinen Finger auf der Landkarte gleich einmal in den Osten. 

Es gibt eine direkte Verbindung zwischen meiner Heimatstadt Wien und der ungarischen Hauptstadt Budapest. Ich möchte mir diese Stadt für eine wärmere Jahreszeit sparen und dort auch ein Wochenende verbringen. Für die grenznahe Stadt Györ habe ich bereits Pläne und einen fertigen Trail, der auf mich wartet. Allerdings dauert eine Fahrt von Wien nach Györ gerade mal eine starke Stunde. Zu kurz, um effizient an meinem Buch weiterschreiben zu können. Und dann verliert sich mein Finger zwischen den beiden Destinationen. Und was sehe ich denn da? Was ist denn das für eine Stadt? Tatabánya? Die Totiserkolonie? Noch nie gehört davon! Gute zwei Stunden Fahrt? Bis zu 12 Grad bei herrlichem Sonnenschein? Wald und Felsen? Da muss ich nicht mehr überlegen. Da will ich hin.

Um 5:30 rappelt der Wecker. Alles ist längst vorbereitet. Rein ins Trailrunning Gewand, rauf mit dem Trailrunning Rucksack und ab zum Hauptbahnhof. Um 6:40 rollt mein Railjet los. Das ist tatsächlich das erste Mal, dass ich mit einem Zug des Fernverkehrs weiter in den Osten fahre. Sonst bin ich es gewohnt, immerzu in den Westen oder Süden zu reisen, da Wien im Nordosten Österreichs liegt. Ich packe mein Netbook aus und schreibe an meinem Buch weiter. Es fällt mir jedoch schwer, mich zu konzentrieren, da das Wetter so schön ist und die Aussicht aus dem Zug in die naheliegende Slowakei bis nach Bratislava mich zunehmend ablenkt. Bald werden wir die Grenze zu Ungarn überschreiten und ich werde mich dann doch auf meine Geschichte konzentrieren können.

Wien Hauptbahnhof

Ab in den Osten - der Sonne entgegen

Weiter am Büchlein schreiben

Ruhezone Waggon im Railjet


Als ich um 8:40 aus dem Zug steige, erwartet mich eine erste irrwitzige Überraschung. Der Bahnhof von Tatabánya ist, wie soll ich sagen, eigenartig. Es gibt eine kleine Kassenhalle in einer größeren Halle, die wie ein Fabrikgelände aussieht und trotzdem kleine Geschäfte beinhaltet. Alles wirkt alt, brüchig und leider auch verdreckt. Als ich den Bahnhof/die Halle verlasse, tut sich davor so einiges. Ein großer Flohmarkt hat hier heute aufgeschlagen.

Ich habe meinen Trail vorab geplant und natürlich habe ich mir meine Stecke bereits auf Google Maps angeschaut. Die Straße entlang, nach einem Kilometer, erreiche ich den Millennium Közpark. Eine liebe kleine Teichanlage, welche mich gleich wieder versöhnt. Denn hier ist alles ringsum sauber. Ein schöner Spazier- und Radweg führt um den Teich, der eine kleine Halbinsel mit einer steinernen Sonnenuhr darstellt. Es gibt tolle hölzerne Liegestühle, einen Brunnen mit Leitungswasser und sogar eine moderne öffentliche Fitnessanlage. Da hat man wohl nicht gespart und ich kann mir gut vorstellen, wie es hier im Sommer zugehen muss.

Bahnhof Tatabánya

Sonnenuhr auf der Halbinsel

Der Millennium Közpark

Vor dem Teich


Nun folgt mein Trail durch jenen Abschnitt, den ich als Zentrum der Stadt bezeichnen würde. Man muss wissen, dass Tatabánya keine richtige Altstadt besitzt. In meinen wirklich kurzen Recherchen habe ich verstanden, dass dieses Gebiet relativ spät besiedelt wurde und der älteste Teil der Stadt eben nichts anderes als eine ehemalige Kolonie ist. Klar, es gibt Kirchen und viele Skulpturen und mehr. Aber im Grunde kommt mir vor, als wäre dieser Ort noch relativ jung. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass Tatabánya nicht gerade klein ist und ich an diesem Tag nur ein Drittel gesehen habe. Aber laut Karte befinden sich gegen Osten hin überwiegend Familienhäuser und Fabrikanlagen. 

So laufe ich also durch das Zentrum und komme so am Museum für Lokalgeschichte vorbei. Dort kann man einiges über die ersten Siedler dieser Stadt erfahren. Wenig später stehe ich in einem Park vor der Statue des Fürsten Árpád. Das ist schon beeindruckend. Die Flamme des Friedens ist eine moderne Skulptur, die sich durch ihren Stil nicht in das Bild der Stadt einfügen kann. Meine Meinung wird aber gleich revidiert, denn gegenüber der Straße finde ich bereits das nächste moderne Kunstwerk. In eine Steinmauer verarbeitet, wartet dort der sogenannte Baum des Lebens. Langsam nimmt mein Interesse gegenüber dieser Gegend immer mehr Fahrt auf. 

Das Museum für Lokalgeschichte

Die Flamme der Freiheit vor den Büros der Landesregierung

Statue des Fürsten Árpád

Der Baum des Lebens - Kunstwerk

Árpád-Gymnasium


Nun wird es richtig spannend, denn es folgt der Teil, auf den ich mich, abgesehen vom Traillaufen im Wald, am meisten gefreut habe. Ich besuche das Wahrzeichen Tatabányas. Die Bronzestatue des falkenähnlichen Vogels befindet sich an einem der höchsten Punkte der Felsformation, die zur Stadt geneigt ist. Die Menschen hier nennen es Turul Denkmal. Dies war einst das Totem eines mittelalterlichen Clans, welcher in dieser Gegend ansässig war. 

Doch der Weg nach oben muss über Stufen und Steige genommen werden. Aber das nehme ich gerne in Kauf und kann so meine ersten Höhenmeter an diesem Tag laufen. Und dann habe ich ihn erreicht. Den großen Falken. Also, der hat auf Fotos wesentlich kleiner ausgesehen und ich bin sehr angetan von dieser Skulptur. Davor befindet sich ein felsiger Balkon, der eine faszinierende Sicht auf die Stadt freigibt. Hinter dem Steinvogel wartet ein kleiner Park mit einem Spielplatz. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies ein beliebtes Ausflugsziel für viele in dieser Region ist. Auch heute sind doch viele Leute unterwegs. Aber kein Wunder bei diesem prächtigen Winterwetter. 

Blick von der Straße auf das Turul-Denkmal

Treppe hinauf zum Turul-Denkmal

Turul Denkmal -
Riesige Bronzestatue eines falkenähnlichen Vogels, der ein Totem mittelalterlicher Clans in der Region war.

Blick auf den Norden Tatabányas


Nicht weit weg vom Turul Denkmal wird es dann so richtig kurios. Über einen schmalen Steig neben einer Felsschlucht erreiche ich schließlich laufend den Eingang der Szelim Höhle. Dies ist ein Erlebnis der besonderen Art, da man vom steinernen Tor noch einmal einen atemberaubenden Blick auf die Stadt hat. Anschließend wartet eine unglaublich schöne Höhle auf die Besucher. Knapp 30 Meter hoch und 40 Meter breit ist sie und wirkt wie ein kolossaler Raum. Ich bin immer wieder erstaunt, dass ich bisher noch nie etwas von diesem Ort gelesen oder gesehen habe. Dies alles bislang ist doch ein schöner natürlicher Wahnsinn.

Vom Turul Denkmal kann man eine Schleife zur Szelim Höhle wandern oder laufen. Der Auf- oder Abgang erfolgt dann in der Höhle. Wer also den großen Falken besucht, der muss auch die Höhle besuchen. Alles andere wäre echt schade. Vorsicht nur beim Felsenpfad. Der ist an manchen Stellen eng und es geht doch ungemütlich tief hinab. 

Steig entlang der Felswand zur Szelim Höhle

Eingang zur Szelim Höhle

Die Szelim Höhle


Jetzt folgt der sportliche Teil meiner kreativen Reise, nämlich der Traillauf durch den Ostwald der Stadt. Wenn nicht schon das Turul Denkmal und die Szelim Höhle ein absolutes Highlight sind, so überzeugt mich nun auch alles, was dieser Wald für mich als Läufer zu bieten hat. Schöne breite Wege mit Markierung. Die schmäleren Pfade sind gut einzusehen und zumindest am Anfang frei von Wurzelwerk und Steinen. Gelegentlich verschafft eine schöne Waldlichtung eine Abwechslung zum Trail zwischen den Bäumen. Dazu dieses herrliche Wetter. Es macht einfach tierisch Spaß, hier und heute laufen zu dürfen.

In diesem Wald gibt es einige verborgene Schätze, die ich unmöglich alle aufsuchen konnte, ohne den Weg zu verlassen. Es gibt kleine Höhlen, alte Ruinen und Einstiege in ein weitaus größeres Höhlensystem. Auch die Kellergemäuer eines alten Jagdhauses kann man an einer Stelle noch sehen. Stets wechselt das Szenario. Mal geht es über Kiesstraßen bergauf, dann wieder über teils beschauliche Gräben erneut schnell hinunter. Dazu bleiben die Wege markiert. Man kann sich kaum verlaufen, bis... Nun, ja!
Ich habe den Aufstieg von der Waldlichtung Nagy-ret zur Ranzinger Aussichtswarte über einen unmarkierten Weg geplant. Und durch das tote Laub am Boden finde ich den Weg nicht. So stampfe ich regelrecht urban einen Hang hinauf, was zugegeben schon sehr anstrengend ist. Doch schon bald bin ich wieder am richtigen Weg und freue mich.

Ich bin sehr angetan von der Natur und der Präsenz des Waldes und kann sagen, dass dieser Wald einer der schönsten Wälder ist, die ich bisher erlaufen habe. Dazu diese Stille. Kein Autolärm aus der Ferne. Auch kein Flugzeug, dass aus der Luft zu hören gewesen wäre. Nur das klopfen des Spechts und der Gesang anderer Vogelarten. Ich kann so etwas richtig schätzen. 

Einstieg in den Ostwald

Waldpfad

Überreste des alten Jagdhauses

Lauf um den Hajagos 445 m

Vértes László-Höhle

Feld Nagy-ret von der Nordseite aus betrachtet

Felder bei Nagy-ret

Jagdhaus Kisrét (Kisrét)

Überreste des alten Jagdhauses

Viele Wanderwege im Ostwald

Schöne breite Waldwege

Urbaner Trail


Die besagte Vince Ranzinger Aussichtswarte ist ein weiterer Höhepunkt meiner geplanten Tour. Doch leider, wie ich es schon durch Fotos erahnen konnte, schaffe ich es nicht nach oben. Meine Höhenangst lässt es einfach nicht zu. Und das, obwohl die Stufen nach oben durch ein Gitter versperrt sind. Bis zur Plattform sind es rund 30 Meter. Ich komme gerade einmal bis zur Hälfte und muss dann aufhören, da mich dann die unkontrollierbare Angst packt. Das ist sehr schade, doch ich tröste mich damit, dass ich schon vom Turul Denkmal eine wunderschöne Aussicht auf die Stadt hatte. Neben dem Turm steht auch das Ranzinger Denkmal.

Aus sportlicher Sicht folgt nun ein Down Hill der Trail-Güteklasse A. Ein schmaler Steig, der von der Aussichtswarte ins Tal hinabführt, gestaltet sich als richtig tolle Herausforderung. Als Trailläufer liebe ich Down Hill Sprints, weil ich vorausschauend laufen kann und das Vertrauen in meine Technik und Ausrüstung habe. Doch dieser Steig verlangt mir beinahe alles ab. Das führt dazu, dass ich entlang eines Abschnittes zu schnell bin und mein Gewicht sich nach vorn verlagert. Bremsen ist jetzt kaum möglich. Es ist viel zu steil. So sprinte ich den Steig hinunter und bete, jetzt keinen Trittfehler zu machen. Das kann nämlich ziemlich schmerzhaft werden, wenn ich hier stürze. Zum Glück passiert das nicht und als der Gegenhang vor mir auftaucht, kann ich auch endlich mein Tempo schön langsam auslaufen. Mein Herz klopft wie wild und ich bin voll mit Adrenalin. Ein toller Ritt, aber auch nur, weil es gut gegangen ist. Da muss ich künftig doch ein klein wenig mehr achtgeben in Gebieten, die ich bisher nicht kenne. Schließlich verlasse ich nun den Wald und finde mich abermals in Tatabánya wieder. 

Vince Ranziger Aussichtswarte

Down Hill Strecke 

Vince Ranzinger Denkmal

Steil hinunter ins Tal


Zu guter Letzt laufe ich noch durch den nördlichen Stadtteil Ujavaros, zu Deutsch Neustadt. Ich kann noch einmal in die Felswände blicken und sehe das Tor zur Szelim Höhle sowie das Turul-Denkmal. 
Hier befinden sich überwiegend mehrstöckige Reihenhäuser und kleine Geschäfte. Vor einem kleinen Park befindet sich das Nagy Imre Denkmal und inmitten eines großen Hofes befindet sich die Büste von Janos Hunyadi am gleichnamigen Platz. 

So kommt es, dass ich zufrieden den Bahnhof erreiche. Etwas früher als geplant. Ich gehe noch einmal zum Közpark und jogge ein paar Runden, bevor ich mich dann doch aufmache, meinen Zug zu erwischen. Ich nutze die Gelegenheit und sehe mich um. Ich bleibe dabei. Das Gebäude wirkt eher wie eine ehemalige Einkaufsmall innerhalb einer großen Fabrik, als dass es sich um einen Bahnhof handelt. Erst, wenn man den weiten Steg zu den Bahnsteigen betritt, wird man wieder daran erinnert. Alles hier wirkt sehr rustikal und weit in die Jahre gekommen. Allerdings hat es auch seinen ganz besonderen Reiz.

Nagy Imre Denkmal

János-Hunyadi-Platz

Bahnhofssteig zu den Bahnsteigen

Blick hinauf zur Szelim Höhle

Bahnhof Tatabánya Kassenhalle

Warten auf den Euro City nach Wien


Abenteuerlich wird es auch bei meiner Rückfahrt nach Wien. Ich fahre nämlich nicht mit dem Railjet, sondern mit dem Euro City 144 von Budapest nach Wien. Klar, ein Euro City Zug ist nichts Neues für mich, aber die Ausrichtung der Waggons schon. In so einem habe ich nämlich noch nie gesessen. Es ist noch spannender, dass ich hier vorab einen festen Sitzplatz meiner Wahl reservieren konnte, was ich sonst nicht gewohnt bin in einem Euro City. So habe ich mir einen einzelnen Sitzplatz ohne Nachbarplatz reserviert. Der Sitzkomfort ist super. Einzig die aufklappbare Lade für mein Netbook könnte größer sein. Da hat bislang kein Waggon eine Chance gegen eine Westbahn-Garnitur. Trotzdem genieße ich die Fahrt und schreibe weiter am Buch.

Hier kann ich nur so viel verraten. Eine spannende Verfolgungsjagd auf Motorrädern durch einen Wald kann am besten mit Bewegung und actionlastiger Musik über die Kopfhörer beschrieben werden, wenn man zuvor noch selbst über Waldsteige gelaufen ist. Nach all der Exposition meiner Figuren tut diese spannende Abwechslung richtig gut. Auch mir, als Autor. 

In allem ein fast perfekter Tag und ich kann es kaum erwarten, bis ich wieder "Kreativ Reisen" werde.

Bahnhof Tatabánya

Euro City Zug 144 Budapest - Wien

Auch auf der Rückfahrt wird am Buch geschrieben

Euro City Zug am Wien Hauptbahnhof

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